Muslimische Feministinnen begründen ihre Gleichberechtigung mit dem Koran

Prof. Dr. Georges Tamer, Universität Erlangen-Nürnberg, Moderator des Bayerischen Orient-Kolloquiums, stellt Prof. Dr. Christine Schirrmacher vor © Andreas Knöll

Christine Schirrmacher veröffentlicht Zusammenfassung ihres Referats beim Bayerischen Orientkolloquium

„Mein Stift – meine Geschichte: Feministisch-nahöstliche Diskurse zum Wahlrecht, zu Gleichheitsrechten und einer geschlechtergerechten Koranexegese im 19. Und 20. Jahrhundert“ war das Thema des Referates der Bonner Professorin für Islamwissenschaft, Christine Schirrmacher, im Rahmen des Bayerischen Orient­kolloquiums. Das Bayeri­sche Orientkol­loqu­ium ist eine Gemeinschaftsaktion von Instituten der Univer­sitäten Erlangen-Nürnberg und Bamberg sowie des Centre for Euro-Oriental Studies (Bamberg), des Lehrstuhls für Orien­tali­sche Philologie und Is­lam­wissenschaft, der Fried­rich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und aller Orientfächer der Otto-Friedrich-Universität, Bam­berg. Die Themenstellung entwickelt hatte der Einla­dende, Prof. Dr. Georges Tamer, Professor für Ori­entalische Philologie und Islamwissenschaft und Di­rektor des Bayerischen Forschungszentrums für Interreligiöse Diskurse (BaFID) an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Prof. Dr. Georges Tamer, Universität Erlangen-Nürnberg, Moderator des Bayerischen Orient-Kolloquiums, stellt Prof. Dr. Christine Schirrmacher vor © Andreas Knöll

Nun stellt die Referentin Prof. Dr. Christine Schirrmacher folgende Zusammenfassung ihres Referates zur Verfügung:

Eine erste Welle des Feminismus im Nahen Osten entwickelte sich im Zuge des Auf­kommens des sogenannten Reformislam Ende des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die europäische Kolonisation und das Vordringen westlicher Kultur in der MENA-Re­gion. Damit einhergehend führten die Zunahme an Bildungsmöglichkeiten für Frau­en, das Aufblühen von Film, Literatur und Kunst, sowie die Entstehung neuer Bewe­gungen und Parteien zu einem gewandelten Bewusstsein für Frauenrechte. Hand in Hand damit entwickelte sich eine Frau­enbewegung der Ober­schicht (teilweise unter Beteiligung europäischer Frauen), die sich aktiv ge­gen die europäische Ko­lonialherrschaft wandte und sich für die nationale Unabhängigkeit ihrer Hei­matländer einsetzte. Diese erste Welle des Femi­nis­mus vom Ende des 19. und bis zum frühen 20. Jahr­hundert war vorwiegend säkular geprägt und setzte sich vor allem für das Frau­enwahlrecht, das Recht auf Berufsausübung, er­weiterte Bildungsmöglich­keiten, ein Verbot der Mehrehe oder ein verbessertes Scheidungsrecht für Frauen ein.

Die zweite Welle feministischer Bewegungen in der MENA-Region ab den 1970er stellt vor allem eine Gegenbewegung zum aufkommenden Islamismus dar, deren Meinungsführer deutliche Einschränkungen von Frauenrechten mit einem ausgesprochen traditionalistischen Verständnis von Frauenrollen in der Gesellschaft propagierten. Feministinnen argumentieren nun vorwiegend unter Bezugnahme auf religiöse Texte, um die Gleichberechtigung von Frauen zu begründen. Eine männerdominierte, traditionelle Koranhermeneutik wird zurückgewiesen, an der Verbalinspiration des Korans jedoch festgehalten. Dementsprechend muss die feministische Koranexegese des 20. und 21. Jahrhunderts als progressiv bezeichnet werden, keineswegs aber als liberal.