Von Jonathan Steinert (PRO)
Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher hat die Themenauswahl bei der diesjährigen Islamkonferenz kritisiert. Gegenüber PRO gab sie an, Integrationsfragen seien nach wie vor relevant, insbesondere weil wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kämen. Außerdem formiere sich die Salafismus-Szene neu und ehemalige Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat kämen zurück nach Europa. „Das Thema Islamismus hat nichts von seiner Bedeutung verloren“, machte Schirrmacher deutlich. Unter den Vertretern der muslimischen Verbände in Deutschland seien auch Islamisten, die mit Steuergeld gefördert würden. „Sie treten auf als Befürworter und Förderer von Integration, untergraben diese durch ihre Ideologie aber gerade.“
Schirrmacher ist eine von mehreren Autoren, die bereits im Vorfeld der Islamkonferenz monierten, dass das Thema Islamismus nicht auf der Agenda stehe. In einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von vergangenem Mittwoch schrieben unter anderem Islamwissenschaftler und Unionspolitiker:
„Es geht nicht nur um das Thema Gewalt und Anschläge. Sondern um den ideologischen Nährboden des Kampfes für die Durchsetzung des Islams, auf dem Gewalt, Verachtung, Intoleranz, Hass, politische Machtansprüche und auch ein islamisch begründeter Antisemitismus wachsen.“
Ähnlich äußerte sich auch der Psychologe Ahmad Mansour in derselben Ausgabe der Zeitung. Viele Alltagsprobleme bei der Integration hätten ihren Ursprung in religiösem Fundamentalismus. Die Einschränkungen während der Pandemie hätten „viele Menschen in ihren Integrationsbemühungen um Jahre zurückgeworfen“. Die Alltagsprobleme der meisten Muslimem würden auf der Islamkonferenz aber nicht thematisiert.
Kritik gab es auch daran, dass ein Expertenkreis Politischer Islamismus, der für zunächst ein Jahr beim Bundesinnenministerium angesiedelt war, aufgelöst wurde. Politik und Gesellschaft müssten die Ideologie des Islamismus erörtern, betonte Schirrmacher: Woher kommt das Geld, welche Ideologie ist in welchen Verbänden präsent, welchen Einfluss üben ihre Vetreter auf Jugendliche oder auch auf den Religionsunterricht aus, zählt Schirrmacher auf.
Progressive Muslime unter Polizeischutz
Innenminister Nancy Faeser (SPD) erklärte bei der Islamkonferenz, die in 16. Auflage am vorigen Mittwoch stattfand, sie wolle die „Entsendung von Imamen aus dem Ausland nach Deutschland schrittweise reduzieren, mit dem Ziel, sie zu beenden“. Außerdem wolle sie sich für muslimische Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Gefängnissen einsetzen und Antisemitismus unter Muslimen kritisch diskutieren. Die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit war ebenfalls Thema bei der Tagung.
Schirrmacher betonte gegenüber PRO, dass „Benachteiligung und Diskriminierung von Zuwanderern seinen Platz finden“ müsse. Jedoch könne das eine nicht gegen das andere Thema ausgespielt werden. „Dort, wo Islamisten ihre Stimme erheben, richten sie sich ausdrücklich auch gegen andersdenkende, demokratiebefürwortende Muslime.“ Diese müsse der Rechtsstaat schützen und ihnen eine freie Entfaltung ermöglichen. „Es ist jedenfalls schwer zu ertragen, dass einige dieser progressiven muslimischen Vertreter hier in Deutschland dauerhaft unter Polizeischutz leben müssen und sich in unserem Land nicht frei bewegen können.“ Auch Konvertiten, die sich dem christlichen Glauben zuwenden, seien bedroht und verdienten Aufmerksamkeit und Solidarität.
Schirrmacher ist unter anderem Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Bonn und für Islamische Studien an der Evangelischen-Theologischen Fakultät im belgischen Leuven. 2020 berief sie der damalige Innenminister Horst Seehofer in den Expertenkreis Muslimfeindlichkeit seines Hauses. Schirrmacher leitet das Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz, deren Hauptvorstand sie mehrere Jahre angehörte.