Düsseldorf. Christine Schirrmacher zählt zu den profiliertesten Kennern des Islam. Bereits in ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit der christlich-muslimischen Kontroverse im 19. Und 20. Jahrhundert auseinandergesetzt. Ihre provokante These: Der Islam muss sich von Mohammeds Beispiel verabschieden, wenn er sein Gewaltproblem lösen will. – Ein Interview mit Christine Schirrmacher von Jasmin Buck.
Frau Schirrmacher, warum ist die Gewalt im Islam so ausgeprägt wie in keiner anderen Religion?
Schirrmacher: Der Islamismus als politisierte Form des Islam und der Dschihadismus, der die politische Umsetzung des Islam einschließlich der Anwendung des Schariarechts durchsetzen will, sind Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Krisensituation im Nahen Osten entstanden. Sie sind also relativ neuen Datums und prägen nicht den Islam oder die islamische Geschichte als solche. Aber der politische Islam beruft sich auf die wesentlichen Quellen des Islam, die kein grundsätzliches Verbot von Kriegführung und Gewalt zur Verteidigung des Islam formulieren. Auch das Vorbild Mohammeds als Kriegsherrn und das grundsätzliche Gebot, ihn in allem nachzuahmen, ist von der Theologie nie grundsätzlich relativiert worden. Es gibt zwar viele Gebote zur Einschränkung der Gewaltanwendung beim Jihad und auch Bedingungen, ihn überhaupt zu führen, aber kein generelles Jihad-Verbot in den autoritativen Quellen. Die Frage, wann sich der Islam „verteidigen“ muss, kann natürlich sehr unterschiedlich interpretiert werden. Radikale Bewegungen meinen, das sei der Fall, wenn etwa Karikaturen über den Islam veröffentlicht werden.
In der Logik der Extremisten wird der Islam angegriffen: vom imperialistischen Westen mit Waffen, Ausbeutermethoden und einem verwerflichen Wertesystem. Was halten Sie davon?
Schirrmacher: Der Islam kann friedlich wie alle anderen Religionen um Anhänger werben, das ist sein gutes Recht. Wenn sich manche islamischen Gruppen jedoch durch die Existenz des Westens an sich, die dortige Werteordnung und Pressefreiheit bereits angegriffen fühlen und dagegen mit der Durchführung von Anschlägen und der wahllosen oder gezielten Ermordung von Bürgern westlicher Länder reagieren, ist das nichts anderes als Terrorismus, der aufs Schärfste verurteilt werden muss und keine Rechtfertigung oder Entschuldigung in der Verletzung religiöser Gefühle finden sollte. Die Einschränkung der westlichen Pressefreiheit, auch Kritisches oder Satirisches über den Islam zu berichten, würde ihm als einzigem eine Sonderrolle der Unantastbarkeit zubilligen.
Viele Muslime müssen sich aktuell für islamistischen Terrorismus rechtfertigen. Woran liegt das?
Schirrmacher: Zum einen gibt es natürlich diejenigen, die zu wenig differenzieren und alle Muslime zu Attentätern oder potentiellen Terroristen stempeln, was im höchsten Maß abzulehnen ist. Es ist verständlich, dass diejenigen Muslime in westlichen Ländern, die die Gewalttaten zutiefst verabscheuen, sich nicht ständig erneut rechtfertigen möchten und sich zu Unrecht verdächtigt sehen. Allerdings muss die Demaskierung von Gewalt und die generelle Distanzierung der Theologie von allen Quellen des Islam, die Gewalt unter welchen Vorzeichen auch immer rechtfertigen, aus der Mitte der islamischen Theologie selbst kommen. Wichtiger aber ist: So lange die Kampfaufrufe Mohammeds und der Kalifen nicht für alle Zeiten für ungültig erklärt werden, wird der Islam sein Gewaltproblem nicht loswerden.
Ist der Islam eine Religion der Liebe?
Schirrmacher: Das Zentrum der islamischen Theologie ist die Lehre von dem einen Gott, dem sich der Mensch unterwerfen soll. Ein Gebot der generellen Nächstenliebe oder Feindesliebe kennt die islamisch-klassische Theologie nicht.
Salafisten sprechen die Sprache der Jugend. Warum setzen muslimische Gemeinden keine Jugendarbeit dagegen?
Schirrmacher: Es gibt bereits muslimische Sozialarbeiter und Projekte, die sich gezielt an Jugendliche wenden und ihnen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung anbieten; häufig sind das jedoch städtische Initiativen oder Projekte einzelner Institutionen, die nicht aus den Moscheen hervorgehen. Die klassische Moschee bietet zunächst Korankurse, vielleicht einen Nachhilfenachmittag oder auch ein Mädchentreff an, aber häufig sind die Jugendlichen der Meinung, dass die klassischen Moscheeangebote – um so mehr, wenn der Imam aus der Türkei oder einem arabischen Land stammt – völlig an ihren Bedürfnissen vorbeigehen – es fehlt an der Bereitschaft und Fähigkeit junger und gut ausgebildeter Imame, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, auf die Fragen der Jugendlichen hier in Deutschland einzugehen, die zwei Welten (die der Tradition und Elterngeneration) und die der europäischen Gesellschaften im 21. Jahrhundert unter einen Hut bringen müssen und ihnen tragfähige Antworten zu geben, wie sie Muslime bleiben und dennoch inmitten der deutschen Gesellschaft leben und dazu gehören können – allerdings fühlen sie sich häufig ausgegrenzt von der deutschen Gesellschaft, was wieder der Abschottung in die Hände spielt. Um diese Brücke zwischen islamischer und deutscher Identität bei den Jugendlichen der 3. Generation zu bauen, muss aber auch Rede- und Kritikfähigkeit bei jungen Imamen geschult werden, auch die Selbstkritik und vor allem deren begründete Ablehnung jeglicher Radikalität. Leider wirken einige Jugendimame, die das Gedankengut radikaler Gruppierungen und Geldgeber aus dem Nahen Osten hier verbreiten, gerade in die entgegengesetzte Richtung auf die Jugendlichen ein und predigen ihnen, dass sie nur Muslime sein können, wenn sie sich von der westlichen, sündigen Welt total abkapseln und den Islam „ganz“ umsetzen. Von der Abkapselung und der Diskriminierungserfahrung ist es dann, wenn persönliche Misserfolge oder Familienbrüche hinzukommen, bis zur Radikalität nicht mehr weit.
Nur jeder vierte Deutsche sieht den Islam als Bereicherung. Warum?
Schirrmacher: Wer hört, dass es wiederholt zu Gewalttaten durch Extremisten in Nachbarländern kommt, die diese Taten als religiös gerechtfertigt oder sogar von ihrer Religion als befohlen betrachten, macht sich Sorgen, was demnächst vor der eigenen Haustür passiert. Dennoch sind weder Verallgemeinerung noch Generalverdächtigungen angesagt.
Was denken Sie, wenn Sie die Zehntausenden „Pegida“-Demonstranten in Dresden und anderen deutschen Städten sehen?
Schirrmacher: Dass sich hier ein Unwohlsein Bahn bricht, das die Politik sehr ernst nehmen und die sehr diversen Teilnehmer nicht mit herabsetzenden Worten abqualifizieren sollte. Es sind nicht nur rechtslastige Krawallbürger dabei, sondern auch besorgte, gebildete Bürger, die sehr wohl zwischen Muslimen und Terroristen differenzieren, aber ihrer Sorge Ausdruck geben möchten, dass ungute politische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht genügend öffentlich thematisiert und kritisch diskutiert werden. Sie öffentlich über die Medien abzukanzeln wird nur ihren Zulauf verstärken. Gesprächseinladungen, kritisch-konstruktive Dialoge und ein Ernstnehmen der berechtigten Anliegen wären besser.
Jasmin Buck stellte die Fragen.
Quelle: RP | PDF- Download